30.07.2012

nah besehen



























Von fern betrachtet liege ich in der Badewanne, lasse meine Haut einweichen, die Haare in duftender Kur baden und schließe die Augen, während ich Musik höre. Das liebe ich. Nah besehen aber, denke ich über die Autobahn nach. Dazu gehört Vertrauen und Disziplin und es funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Die Autobahn liebe ich sehr. Autobahnmomente, das sind Momente, in denen mir das System Gesellschaft spürbar verständlich wird - verständlich und greifbar und schön. Autobahnmomente passieren auch beim Supermarkt an der Kasse, wenn ich bezahle und die Kassiererin mein Geld entgegen nimmt und ich dafür meinen Einkauf mit nach Hause nehmen kann und sie dafür Lohn bekommt, dann funktioniert unsere Gesellschaft, grob gesehen.
Aber noch schöner wird es mir auf der Autobahn bewusst, vielleicht sogar am Ende eines Staus. Wenn man hinter einer Kurve auf das Stauende zufährt und den Warnblinker schaltet, damit die hinteren Autos bescheid wissen und niemand gefährdet wird, weil wir aufeinander aufpassen. Wir alle halten uns daran langsam zu fahren, Spuren werden gewechselt, ich beobachte die anderen Autos, sehe die Kennzeichen, so viele verschiedene deutsche Orte, in denen ich noch nie war, Dänen, Niederländer, Schweden, alle Richtung Meer unterwegs, auf der Rückbank schläft ein Junge, den offenen Mund an die Scheibe gepresst, vielleicht träumt er von der Sandburg, die er morgen mit seinem Kumpel bauen wird, ein Auto weiter ein verliebtes Paar, das Händchen haltend den Stau erträgt, ihr gemeinsames Lied hört und in den Träumen bereits im Zelt zusammen kuschelt und daneben zwei Prolls in etwas Tiefergelegtem, die ihre Köpfe dezent zum Beat bewegen, die Arme schon eingeölt, damit das mit der Bräunung schneller klappt. Sie alle wollen ans Meer, in dem Moment will niemand dem anderen etwas Böses, in diesem Autobahnmoment wird mir bewusst, dass wir in unserer Gesellschaft funktionieren, weil wir das gleiche vom Leben wollen: glücklich sein und zusammen sein. Wir wollen das Meer sehen, wir wollen Zeit mit unseren Familien und Freunden verbringen und wir halten alle zusammen diesen Stau aus, denn irgendwann wird es weiter gehen und der Deich kommt in Sicht.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

vorher noch nie drüber nachgedacht. gut.

Flo hat gesagt…

Danke für diesen Text. Richtig richtig gut!

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